THE ORDER: 1886
Testbericht | PS4
The Order: 1886Die Geister scheiden sich ob diesem Titel. «Polarisieren» ist nur der Vorname für die teilweise vernichtenden, teils anerkennenden Wertungen. Fakt ist: Das Spiel ist technisch und mechanisch nahezu perfekt - spielerisch hingegen leider streckenweise hingeschludert und unfertig. Eine grosse verpasste Chance für ein richtig sensationelles Game. Übrig bleibt ein solides, aber leider unausgegorenes irgendwas zwischen Vampir, Werwolf und Wappentier. Entsprechend dem Lead liest sich auch das vorliegende Testbericht — ein ständiges Auf und Ab. Herr Grayson aka Sir GalahadWenn man The Order einlegt, klappt als erstes sicherlich mal die Kinnlade nach unten. Die atemberaubenden Visuals, der Sound, die Stimmung, hier wird einem die gigantische Supersause präsentiert. Top Sprecher, top Acting, alles erste Sahne. Hier vermischen sich die König Artus-Saga, die Ritter der Tafelrund, Steampunk und eine ordentliche Prise englische Agentenliteratur mit Pulverdampf und viel elektrischer Energie. Die so nie gesehene plastisch gestaltete Welt des London im ausgehenden 19. Jahrhundert haut einen schlichtweg vom Hocker. Da ziehen Nebelschwaden umher, ein Vogelschwarm quert den Himmel, die Häuserzeilen wirken wie gemalt, Dunst ziert die Szenerie. Die phasenweise interessante Story vermag zu Beginn zu gefallen, aber das Potential wird bei weitem nicht ausgereizt. Da wäre mehr dringelegen, insbesondere durch das Weglassen von Offensichtlichem, und mit der Zugabe von etwas mehr Mut. Wieso ist Grayson nicht ein bisschen zerrissener als Person? Warum diese platte Gut-Böse-Schummelei? Dazu kommt das eine oder andere ausgelutschte Cliché, was ich einem professionellen Autorenteam etwas übel nehme. Die Damen und Herren Urheber der Story hatten wohl mehr Ferien als die Leute von der Tech & Art-Abteilung. Einige Inkonsistenzen und zuwenig Selbstironie halten hier einige Türen geschlossen, eine richtig tolle Geschichte mit einigen Überraschungsmomenten mit ein paar Twists mehr hätte Wunder gewirkt. Die Hauptfiguren wirken zwar sehr echt, aber selbst gemessen am historisch-fiktiven Kontext allzu eindimensional und leider auch ein wenig naiv. Fast jede Wendung wird mit Pauken und Trompeten dermassen laut angekündigt und pathetisch hochstilisiert, dass es schon fast weh tut. Herr Haudrauf Galahad auf Abwegen wechselt sich ab mit stimmiger Erkundung von fantastischen Welten. Einen Aspekt möchte ich als Errungenschaft aus der Story hervorheben. Das Setting und die Erzählweise der Geschichte bringt einige sozialkritische Töne hervor. Armut, Elend, Ausbeutung von Frauen und fremden Kulturen, Kolonialismus, Prostitution, Zweiklassengesellschaft und Machtmissbrauch sind eine Handvoll Themen, welche hier anklingen. Das bringt nicht jedes Videospiel fertig. Immer schön langsamDas Game weist eine gemähliche Gangart auf, schon fast träge, was mir persönlich sehr gut gefallen hat. The Order ist kein hitziges Spiel mit Rumgerenne und Shooter-Blitzgewitter. Die Spielmechanik kommt da und dort etwas konservativ rüber, passt aber gesamthaft zum Setting und zum Mood. Ein spritziges Gag- und Actionspektakel à la Uncharted (wovon der zweite Teil gemäss Ready At Dawn als Benchmark galt, der bei weitem verfehlt wurde) wäre hier eher unpassend. Einige markige Boss-Gefechte sind mit Quicktime-Events durchwirkt, was ich jetzt mal nicht kommentieren möchte. Na ja. Ist halt so. Vielleicht hätte RAD mal kurz bei David Cage und Quantic Dream vorbeischauen sollen für einen Nachmittag, die wissen wie man spannende, interaktive und erst noch intensive Quasi-QTs baut. Die Führung der spielenden Person ist zudem öfters mauch. Manchmal versteht man einfach nicht, was das Spiel von einem will, oder was das Spiel sein will. Man meint, es wolle gerade abschnittweise ein Stealth-Game sein? Falsch gedacht, das kann es nicht. Zuwenig gehbare Pfade, zuwenig Interaktionsmöglichkeiten, zuwenig Skills, zuwenig Items. Dann wieder knallige Action? Hmmja, klappt so so la la, manchmal super, manchmal eher platt. Die Leveldesigner haben alles hübsch und hochgradig realistisch gebaut, was leider nicht unbedingt den Anforderungen an «spassvoll» entsprechen muss. Hie und da stolpert der Titel darum über seine eigenen hübsch polierten kleinen Füsschen. Aber: Voll auf die Nase gefallen ist er bei mir dann doch nie, was erstaunlich ist. The Order ist eine Art Zwitter zwischen Tag und Nacht, ein merkwürdiges Spiel. Eine grosse Enttäuschung möchte ich hier nicht aussen vor lassen. Ich habe damals an der Gamescom 2013 einen sehr interessanten ersten Einblick von der neuen Engine hinter The Order erhalten. Die Destructability aka. Zerstörbarkeit der Welt bleibt leider weit hinter den Erwartungen zurück gemessen daran, was ich im Sommer 2013 an der Präsentation gesehen habe in Form von ersten Tech-Demos. Sehr cool fand ich hingegen wieder die Gefechte in engen Gassen unter Einsatz von Handgranaten, welche ihren Namen auch wirklich verdienen, im Gegensatz zur Mehrzahl der existierenden Shooter, wo Explosivmaterial kaum die Wirkung eines Knallfrosches übersteigt. Hier krachts und staubts so richtig dass sich die Balken biegen (aber leider nicht bersten, wie oben bereits angetönt). Die KI der Gegner und Mitstreiter ist leider oberschwach. Punkt. Mehr gibts dazu nicht zu sagen. Das Gameplay von The Order fühlt sich ein bisschen an wie «live die repeat» mit Tom Cruise, aber nicht unbedingt wie die guten Seiten von dem Film. Man könnte es umschreiben mit: Störrisch wie ein pensionierter englischer General. Oder mit wie ein hochpolierter alter Aston Martin. Oder mit wie eine superattraktive schicke junge Londoner Society Lady mit dem Gehabe einer 90-jährigen. Es ist nicht alles Gold, was glänztThe Order ist atmospärische Superklasse, der Wechsel der Szenarien ist gelungen. Kein Setting zu lang, keines zu kurz. Ein Highlight (Achtung: Spoiler) ist sicherlich der Abstecher in die Armengegend mit dem Bordellbesuch. Oder die eine oder andere Ecke, wo man plötzlich unvermittelt einen Blick über die Dächer der Stadt erhascht - absolut beeindruckend. Einige Fragen bleiben offen: Wieso lässt einen das Spiel da und dort keine einfachen zusätzlichen Optionen zur Wahl? Z.B. bei Stealthmissionen die Gegner zu betäuben statt allesamt abzumurksen? Wieso zeigt einem das Spiel keine Checkpoints an, wenn man diese erreicht? Wie ist es möglich, dass ein Spiel dermassen genial aussieht, jeder Kontrollmechanismus perfekt sitzt und das Feeling absolut stimmt, während vermeintlich einfache Dinge wie der Aufbau eines Levels oder die Interaktionen mit der Spielwelt irgendwie hingekritzelt und lieblos wirken? Warum sind die Gegner und Verbündeten drei stufen dümmer als in Killzone 2 oder Uncharted auf der PS3? Wieso gibt es keinerlei Bonusitems, Erfahrungsfortschritt oder mehr als eine Handvoll witzige Minigames? Und noch wichtiger: Warum werden bei solch bedeutenden Titeln offenbar Laien als Experience Designer und Storywriter angestellt? Wenn überhaupt? Das hätte ich mit ein paar alten Pen & Paper-Kumpels wohl besser hingekriegt, ohne grossartig zu übertreiben. Fazit:The Order: 1886 ist ein gutes Spiel (und auch kein gutes Spiel), streckenweise hervorragend, abschnittweise schreiend dämlich einschränkend. Darum habe ich zum ersten Mal in meiner Tätigkeit für Wisegamers auf eine Wertung verzichtet. Das Spiel verfügt nur über einen Singleplayer-Modus, soviel sei gesagt. Ich würde nicht sagen, The Order ist ein Reinfall, aber sicherlich auch nicht jedermanns Sache. Das Ärgerlichste an diesem Spiel sind nicht seine Mängel, sondern das offensichtliche, mit Grossbaggerschaufeln vergebene Potential. Das dürfte bei einer Produktion dieser Grössenordnung niemals passieren. Wer hat hier das Qualitätsmanagement verhunzt? Ich finde durchaus, dass man The Order: 1886 spielen sollte, wenn man eine PS4 zuhause hat und auf Actiongames mit Filmfeeling steht. Aber: Hier wechseln sich Licht- und Schattenseiten alle paar Minuten ab. Manche Stellen grenzen am richtig grossen Schmerz — dafür kriegt man keine zwei Minuten später wieder ganz grosses Kino serviert. Mit einem Satz ausgedrückt: Ein Wechselbad der Gefühle.
The Order: 1886
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