GOOGLE STADIA: EIN HOLISTISCHES REVIEW Google Stadia: Ein holistisches ReviewMit Stadia bringt Google ein Menge klevere kleine Ideen - was aber fehlt, sind die Games, und ein für Gamer attraktives Abo. Vor ein paar Monaten habe ich mir einen neuen Arbeits-PC gebaut. Da eine neue Grafikkarten-Generation kurz bevorstand, wollte ich keine neue Grafikkarte kaufen, und habe stattdessen die 2070 Super aus meinem Gaming-PC in meinen neuen Arbeits-PC verpflanzt, mit der Idee, dem Gaming-PC ein Karte der neusten Generation zu spendieren. Nun, die neue Generation der Grafikkarten ist hier, kaufen kann man sie aber nicht, und mein Gaming-PC ist weiterhin nicht funktionstüchtig. Was tun? Eine Alternative wäre sicher, das Berechnen hübscher Grafiken in die Cloud zu outsourcen. Weshalb für teures Geld auf eBay eine Grafikkarte kaufen, wenn man stattdessen die Power von PCs nutzen kann, die irgendwo in einem Rechenzenter stehen und eigens dafür konzipiert sind? In meiner Grafikkarten-Not kam es mir mir gerade recht, dass Google uns eine Stadia zu Testzwecken zuschicken wollte. Stadia ist nämlich ab heute in der Schweiz erhältlich. Controller und Chromecast Ultra gibt's für 120 Franken, einen zusätzlichen Controller kann man sich für 80 Franken kaufen. Das Cloud-BusinessGoogle Stadia ist ein Cloud-Gaming-Service, heisst, ich spiele Games nicht auf meiner Konsole oder meinem PC, sondern auf einem PC, der von Google betrieben wird. Meine lokale Hardware - das könnte ein Chromecast sein, ein Gerät, welches ich direkt in den TV stecke, aber auch mein Mobiltelefon, oder mein PC - rendert die Grafik nicht selber, sondern bekommt sie über's Internet zugeschickt. (Aktuell wird übrigens nur Android unterstützt, Apple lässt keine Cloud-Gaming-Services zu. Google wird da einen Umweg über eine Web-App nehmen müssen.) Die Idee ist nicht neu. OnLive hat das schon vor zehn Jahren versucht, und ist daran gescheitert. Schnelle Internet-Verbindungen, die für einen solchen Service notwendig sind, gab's damals einfach noch zu wenig. Unterdessen gibt es aber einige Anbieter in diesem Bereich, und es haben sich drei verschiedene Angebote herauskristalisiert. Das Netflix-ModellIn diese Kategorie gehören Anbieter wie Xbox Game Pass cloud gaming (jemand sollte Microsoft mal erklären, dass längere Namen nicht unbedingt besser sind) und PlayStation Now. Bei diesen Anbietern bezahlt man eine fixe Monatsrate und bekommt Zugriff auf hunderte von Spielen, die man direkt streamen kann. Hört das Abo auf, verliert man den Zugriff auf die Games. Die Anbieter in diesem Bereich erlauben oft auch den Download der Games, so dass man sie auch dann spielen kann, wenn man gerade keine schnelle Internet-Verbindung hat. Das Bring-Your-Own-Games-ModellHier finden wir GeForce Now. Die Idee ist, dass man nur den Rechner mietet, und die Games selber mitbringt. Man verbindet beispielsweise seinen Steam-Account mit GeForce Now, und hat dann per Cloud-Streaming Zugriff auf die eigenen Spiele. Die kann man natürlich weiterhin auch lokal spielen, wenn man möchte. Das Cloud-Konsolen-ModellHier finden wir nun Google Stadia. Die Idee bei diesem Modell ist, dass man quasi eine virtuelle Konsole hat, für die man Games kauft. Statt die Spiele auf einem lokalen Gerät zu spielen, kann man sie aber nur online streamen. Wer bei Stadia zusätzlich einen Abo-Preis bezahlt, darf die Games in höherer Auflösung streamen, und bekommt eine kleine Auswahl an Games, auf die man gratis Zugriff hat. Der Nachteil dieser Option ist unmittelbar klar: im Vergleich zum Netflix-Modell hat man nicht sofort Zugriff auf eine enorme Library an Games, sondern muss sie manuell kaufen. Im Vergleich zum Bring-Your-Own-Games-Modell besitzt man diese Spiele aber nicht wirklich; man schaltet sie nur in der Cloud frei, und kann sie nicht auf einem lokalen Gerät spielen. Google hat sich hier also für die Option entschieden, die die Nachteile aller Modelle vereint. Man muss Games einzeln kaufen, besitzt sie aber trotzdem nicht. Ein kurzer Preisvergleich einiger zufällig ausgewählter Spiele zeigt, dass man bei Stadia etwa den selben Preis bezahlt wie auf Steam oder im Epic Store. Da muss man sich schon die Frage stellen, weshalb man das Spiel auf Stadia kaufen soll, und nicht auf Steam, und es dann mit GeForce Now streamen. Das Google-DilemmaDie Tatsache, dass Stadia ein Google-Produkt ist, macht diese Entscheidung auch nicht leichter. Einerseits kann Google natürlich hunderte von Millionen in Stadia stecken, und auf enorme Erfahrung im Cloud-Bereich zurückgreifen. Andererseits ist Google bekannt dafür, dass man nicht gerade zimperlich ist, wenn's um's abschalten von Services geht, die nicht so erfolgreich sind wie geplant. Hangouts, Google Play Music, Daydream, Google+, Allo, Chromecast Audio, Picasa, Wave, Reader... das ist nur eine kleine Auswahl an Produkten, die Google extrem gepusht hat, nur um sie dann sang- und klanglos sterben zu lassen, nachdem sie weniger erfolgreich waren als geplant. Es ist schon ärgerlich genug, wenn Google Wave abschaltet und alle meine Wave-Dokumente in einem schwarzen Loch verschwinden lässt, aber was, wenn ich hunderte oder tausende von Franken in Stadia-Games investiert habe, nur um zuzuschauen, wie Google den Service deaktiviert? Das ist keine schöne Vorstellung. Aber sogar angenommen, dass Google den Service für die nächsten fünfzig Jahre laufen lässt: werden alle Games, die ich heute kaufe, in 50 Jahren noch gestreamt? Macht sich Google wirklich die Mühe, Spiele wie Gylt über Dekaden zu unterstützen? Das Hier und JetztAber ignorieren wir die Zukunft doch einmal, und schauen uns die Gegenwart an. Google Stadia funktioniert auf ganz vielen verschiedenen Geräten, aber wer auf seinem TV Stadia spielen möchte, macht das am besten mit einer Chromecast. Wir haben von Google hierfür eine Chromecast Ultra bekommen. Das ist ein kleines Dongle, ein paar Zentimeter im Durchmesser, welches man per HDMI an den TV steckt. Es ist schon ein bisschen lustig, dieses kleine Ding zu sehen, und damit Spiele zu spielen, die einem PS5-Spiel grafisch schon sehr nahe kommen. Hier sehen wir auch das erste Beispiel für die kleinen, kleveren Details, die Google oft wirklich gut macht. Möchte man die Chromecast per Ethernet mit dem Netz verbinden (was für Cloud-Streaming keine schlechte Idee ist), steckt man das Ethernet-Kabel ins Netzteil der Chromecast. Das hat den netten Effekt, dass man ein bisschen Kabelsalat verhindert. Der ControllerAls zweites bekommt man mit Stadia einen Controller. Der Controller ist für Erwachsenenhände gemacht und eher etwas grösser. Analog-Sticks, Triggers, D-Pad und Knöpfe fühlen sich alle wirklich gut an, der Controller selbst ist recht schwer und solide, und hat einen sehr starken Rumble-Motor. Spezial-Features wie ein Touchpad oder adaptive Triggers hat er keine, es handelt sich hier um einen extrem kompetenten, sehr traditionellen Controller. Ein nettes Feature hat er aber, und damit sind wir wieder bei Google's Kleverness. Statt den Controller per Bluetooth mit der Chromecast zu verbinden, verbindet man in per Wifi mit dem Netzwerk. Der Controller spricht also nicht mit der Konsole, er spricht direkt mit den Stadia-Servern. Das hat einen enormen Vorteil: wenn ich ein Spiel auf der Chromecast beginne, ins Bett gehe, und auf meinem Telefon oder auf dem Laptop über Chrome weiterspielen möchte, muss ich den Controller nicht neu verbinden; da er mit Stadia verbunden ist, und nicht mit einem lokalen Gerät, funktioniert er ohne mühsames Bluetooth-Pairing mit allen Geräten, auf denen man Stadia-Games spielen kann. Auf dem Phone darf man Games auch per Touchscreen spielen, das funktioniert aber in den wenigsten Fällen gut. Auf dem TV zocken und dann mit dem selben Controller auf dem Phone weiterspielen? Kein Problem. Um lokale Multiplayer-Spiele zu spielen, kann man mehrere Controller gleichzeitig mit Stadia verbinden. Das konnten wir aber nicht testen, aufgrund eines Mangels an weiteren Controllern und aufgrund von pandemiebegründeten Einschränkungen. Alles in allem muss ich sagen, dass mir der Stadia-Controller von allen aktuellen Konsolen-Controllern am besten in den Händen liegt. Das mag an meinen etwas grösseren Händen liegen und ist sicher nicht für alle der Fall, in meinen Augen hat Google hier aber die Aufgabe erfüllt. Einen kleinen Mangel möchte ich aber noch erwähnen: die Symbole für die Options-Taste und die Menu-Taste sind zu ähnlich! Bei mir müssen sich immer zuerst ein paar Zahnräder drehen bevor ich kapiere, welcher der beiden nun schon wieder der Knopf mit den drei Punkten und welcher der Knopf mit den drei Strichen ist, wenn ich dan Prompt auf dem TV sehe. Die GamesUnd damit sind wir bei den Games. Um es gleich vorneweg zu nehmen: im Gegensatz zu Firmen wie Nintendo, Sony oder Microsofot hat Google kaum in exklusive Spiele investiert. Google hat keine eigenen Studios, die für hunderte von Millionen komplexe Games entwickeln. Die spärlichen Exklusiv-Games, die man auf Stadia findet, sind zwar kompetent gemacht, aber klar im Indie-Bereich anzusiedeln. Alles in allem findet man auf Stadia um die hundertfünfzig Games, viele davon schon etwas in die Jahre gekommen. Eine Suchfunktion bietet der Store nicht, vermutlich, weil die Chance danke der kleinen Games-Auswahl sehr gering ist, dass man das gesuchte Spiel auch finden wird. Diese kärglichen fünf Games sind alles, was man in der Kategorie "Rennspiele" findet. Hier stellt sich die klare Frage, wie Google mit anderen Anbietern mithalten will. Während Sony in exklusive Games wie Spider-Man: Miles Morales investiert, Microsoft ganze Studios aufkauft, und Nintendo jedes Jahr fantastische Mario-Games auf den Markt bringt, um Gamer zum Kauf ihrer Konsolen zu verlocken, hat Google hier offenbar komplett aufgegeben. Es gibt kein einziges exklusives Stadia-Game, bei dem man als nicht-Stadia-Besitzer das Gefühl haben muss, wirklich etwas zu verpassen. Das GameplayBis jetzt haben wir das Business-Modell von Stadia besprochen, die Hardware, und die Games-Auswahl. Das Wichtigste haben wir jedoch komplett vernachlässigt: funktioniert die ganze Idee mit der Streamerei überhaupt? Die Antwort ist etwas kompliziert, und sehr individuell. Wer eine schnelle Internet-Verbindung hat, und vor allem zuhause spielen möchte, der darf diese Frage mit "Ja, es funktioniert" beantworten. Es funktioniert nicht perfekt, und nicht für alle Games gleich gut. Trotz schnellstmöglicher Swisscom-Verbindung und Ethernet-Anschluss für Chromecast hatten wir regelmässig mit merkbaren Framepacing-Problemen zu kämpfen. Alle paar Sekunden hat das Internet ein paar Frames verschluckt. Ob das jetzt als sehr störend empfunden wird ist natürlich subjektiv. Einerseits ist es sicher ein Grund dafür, eine andere Plattform zu bevorzugen, andererseits denkt man kaum mehr an dieses Problem, wenn man erst mal im Spiel versunken ist. Alles in allem funktioniert Stadia gut genug - so gut, dass man bei vielen Games wohl kaum bemerkt, dass sie nicht live und lokal sondern übers Internet gespielt werden. Es gibt natürlich Ausnahmen: Games wie Celeste, wo pixelgenaue Kontrolle gefragt ist, leiden stark unter der im Internet-bedingten Input-Verzögerung, die bei einem Cloud-Service kaum vermeidbar ist. Drücke ich einen Knopf auf dem Controller, so muss diese Information zuerst übers Internet an Googles Server geschickt werden, der muss das Bild neu rendern, das Bild muss übers Internet zurück an mich geschickt werden... ein paar Dutzend Millisekunden gehen da schnell vorbei. In einem Autorennspiel ist das beispielsweise nicht merkbar, und diese Games funktionieren dementsprechend sehr gut. Bei einem Game wie Celeste wird das aber schnell zu einem Handicap, welches das Spielerlebnis stark beeinträchtigt. Der Celeste-Tipp, einfach mal durchzuatmen, wird man beim Spielen des Spiels auf Stadia des öfteren benötigen. Aber das war immer noch das Best-Case-Szenario. Was ist mit der Person, die auf ihrem Telefon im Zug ein bisschen Celeste spielen möchte? Spätestens beim ersten Tunnel wird das äusserst problematisch, aber bereits vorher wird das Spielerlebnis wohl enorm inkonsistent sein. Da ist die Abteilsnachbarin mit ihrem Laptop besser bedient, bei ihr funktioniert Celeste auf der ganzen Reise absolut problemfrei. Vor einer Investition in Stadia lohnt es sich also sicher, mal die eigene Internet-Verbindung zu testen, und sich zu überlegen, wo man denn gerne wirklich auf Stadia zugreifen möchte, und wie es mit dem Internet an diesen Orten aussieht. Unser FazitGoogle Stadia ist kein Produkt, welches man einfach bewerten kann. Obwohl Stadia viele Nachteile hat, gibt es sicher Menschen, für die Stadia eine gute Option ist. Im Gegensatz zu anderen Cloud-Optionen ist es enorm einfach aufzusetzen: Chromecast einstecken, einschalten, den Anweisungen am TV folgen, und man hat eine komplette Online-Konsole. Das ist sicher einfacher, als Games auf Steam zu kaufen, und sie dann auf GeForce Now zu spielen. Und wer eine gute Internet-Verbindung hat, der wird zumindest in den eigenen vier Wänden hauptsächlich gute Erfahrungen mit Stadia machen. Falls alles wie geplant funktioniert, sind dann auch keine zukünftigen weiteren Anschaffungen notwendig: wenn Google die Server updated, werden die Games bei Stadia-Besitzern automatisch hübscher. Ehrlich gesagt ist es wirklich eindrücklich, dass das ganze Ding überhaupt so gut funktioniert, wie es das aktuell tut. Das sind alles Plus-Punkte für Stadia. Und trotzdem bleibt die Frage: weshalb Stadia, wenn es Xbox Game Pass cloud gaming gibt? Ist es wirklich eine gute Idee, Spiele auf Stadia zu kaufen, wenn man nicht weiss, wie lange es den Service denn genau geben wird? Und welche exklusiven Stadia-Games sollen uns dazu bewegen, den Schritt ins Stadia-Universum zu wagen? Aktuell scheint Stadia ja nicht der Erfolg zu sein, den Google sich erhofft hat. Seit dem Launch des Services hat Google auch wenig gemacht, um dieses Problem zu beheben, und es ist unklar, was genau der langfristige Plan ist, um Stadia zu einem Erfolg zu machen. Es ist auch nicht ganz klar, wie sehr Google selbst von diesem Produkt noch überzeugt ist. Besucht man die Stadia-Seite mit Firefox statt Chrome, sieht man diese etwas triste Website, die vermutlich niemanden von den Vorzügen der Konsole überzeugt: Wer Google vertraut und viel Wert auf eine vergleichsweise gute Bedienerführung legt, für den ist Stadia sicher eine Option. Alle anderen finden vermutlich Angebote, die besser zu ihren Anforderungen passen. Am Ende bleibt ein Fazit: es funktioniert, und das ist mehr, als wir uns vor zehn Jahren, als die ersten Cloud-Gaming-Services auf den Markt kamen, erhoffen konnten. Damit scheint Stadia eine tolle Option zu sein für alle, für die PC-Gaming zu kompliziert ist, und eine Konsole zu teuer. Für 120 Franken kriegt man Games in guter Qualität auf den TV, und theoretisch wird die Qualität besser, wenn Google die Cloud-Infrastruktur verbessert, ohne dass man selber mehr Geld in neue Hardware installieren muss. Trotzdem fällt es mir schwer, Stadia zu empfehlen. Die Spiele sind zu teuer, die Auswahl zu klein, und Google ist zu bekannt dafür, Services ohne grosse Vorwarnung plötzlich abzuschalten. Schade, Google. Sehr eng am Ziel vorbeigeschrammt. Wir bedanken uns bei Google für die freundliche Bereitstellung einer Stadia zu Testzwecken. Positiv
Negativ
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