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Liebe und Sex haben in Games nichts verloren

vor 12 Jahren von DN, Aktualisiert: vor 12 Jahren

Man möge mir den etwas reisserischen Titel verzeihen, welcher natürlich nicht meiner Meinung entspricht. Woher kommt der Gedanke? BioWare hat mit den Liebesszenen in Mass Effect 3 einen gehörigen Aufruhr verursacht. Männlein dürfen mit Weiblein und umgekehrt, und auch gleichgeschlechtliche Romanzen sind möglich. «Shepard running wilder» — könnte man sagen. Für viele Gamer offenbahr zu wild, gemessen an der Abstrafung auf Metacritic, welche sicherlich nicht nur vom umstrittenen Ende herrührt. Gamekritiker-Durchschnitt: 94%. User-Durchschnitt: 4.9 (Xbox 360-Version, PS3 noch tiefer). Eine regelrechte Aburteilung hat da stattgefunden. Sind die Gamer dieser Welt ein Volk von intoleranten Cyber-Puritanern?

Screenshot

Wohl kaum. Der Aufstand scheint eh merkwürdig, angesichts der Tatsache dass gleichgeschlechtliche Beziehungen bereits in Dragon Age möglich waren. Und noch merkwürdiger wenn man bedenkt, dass mit grosser Wahrscheinlichkeit keiner von den eher limitiert intelligenten und entsprechend intoleranten Gesellen (welche BioWare wegen Shepards Intimitäten an die Karre gefahren sind) eine dieser unmöglichen Szenen selbst gespielt hat. YouTube sei dank darf man später hingucken und sich beschweren.

Aber wieso eigentlich? Meine These: Shepard ist ein Prototyp eines ultramachoistisch geprägten Action-Segments. Die Vorstellung, dass er homosexuell ist, gleicht für viele der Idee eines «schwulen Conan». Mit anderen Worten: in den Augen vieler Actiongame-Fans unhaltbar. Aber wieso ist die Welt der Videogames eine dermassen liebes- und lustfeindliche, aufgefüllt mit Intoleranz? Ein Versuch einer Annäherung.

Achtung: Die nachfolgenden Ausführungen können allenfalls Spoiler beinhalten.

Rummachen in Heavy Rain

Bevor wir zum vielbesprochenen Corpus Delicti schreiten, gibt es ein paar Games aus der Vergangenheit zu beleuchten, welche sich dem Thema «Intimität» auf sinnliche und teilweise sehr gelungene Weise angenommen haben. Die Dragon Age-Games — ebenfalls aus dem Hause BioWare — machten die Beziehungen innerhalb der Heldentruppe zu einem integrierten Bestandteil des Gameplays. Und das auf sehr gelungene Art und Weise wie ich finde. Da kam es nämlich auch zu Eifersüchteleien, Stichelei-Orgien bis hin zum Verlassen der Gruppe seitens enttäuschter LiebhaberInnen.

Ein eindrückliches Beispiel von digitaler Intimität ist diese Szene aus Heavy Rain. Das Spiel gehört für mich immernoch zu den besten Titeln, welche je das Licht der Videospielwelt erblickt haben. Widmen wir uns dem Eingemachten — oder müsste es besser heissen «Rumgemachten»? Entscheidet selbst:

Andocken in Mass Effect 3

Etwas «grafischer» geht es bei BioWare's neustem Ausflug in die Weiten des Alls und der Flirtuniversen zu und her, wie folgende Szene mit dem Hauptdarsteller Shepard (in diesem Fall männlich) und Liara zeigt:

Bleiben wir noch eine Weile im saucy space. Folgender Ausschnitt zeigt eine Duschszene mit (einem diesmal weiblichen) Shepard — Miss Shepard sozusagen — und der ComSpec Samantha Traynor. Da stellen sich ein paar Fragen: Dient diese Szene eher der Belustierung männlicher Lesbenfantasien oder der Zollung von Respekt potentieller homosexueller Mass Effect 3-Spielerinnen? Schwer zu sagen. Tatsache ist, dass damit die Frage, wieso jemand zum Duschen die Unterwäsche anbehält, ungeklärt bleibt:

BioWare hat sich jedoch nicht mit den obigen Szenen «in die Nesseln gesetzt». Der Aufruhr, welche folgende Szenen verursacht haben, beantwortet vielleicht ansatzweise die im obigen Absatz gestellte Frage. Es scheint offenbahr viele männliche, heterosexuelle Männer, vornehmlich in den USA zu geben, welche kein Problem mit lesbischen Schmusereien haben — im Gegenteil. Aber wehe es kommen harmlos inszenierte Mann-bei-Mann-Spielchen an die Oberfläche, dann brennt die Stadt. Die Welt ist aus den Fugen, und kein gutes Haar bleibt am Entwicklerteam. Aber wieso bloss? Das Spiel lässt jedem Spieler offen, wie er oder sie den anderen Charakteren im Spiel begegnen will. Es besteht keine Pflicht, im Verlauf des Spiels irgendwelche Romanzen zu hegen. Wer will, der kann. Wer als Mann spielt und Frauen mag, darf sich paaren. Wer als Frau spielt und Männer mag, dito. Auch Frauen dürfen sich Frauen angeln, und Männer sich mit Männern vergnügen:

Weitere Szenen mit allen möglichen Kombinationen finden sich auf Youtube »

Darf man das? Oder muss man sogar?

Videogames sind ein überaus junges Medium, wenn man Filme oder Theater als Vergleich heranzieht. Entsprechend tief ist in vielen Fällen das dramaturgische und erzählerische Niveau. Die Geschichten, welche in rund drei Vierteln aller erscheinenden Spiele erzählt werden — das muss man sich einfach mal vor Augen führen — erreichen nicht einmal das Niveau eines Teenagers, sondern bewegen sich irgendwo zwischen Kleinkind und Schulbengel. Die wenigen, wirklich tiefgründig und substanziell erzählten Geschichten mit entsprechend greifbaren Figuren in Videogames sind selten und bilden die absolute Ausnahme.

Man kann sich also fragen, wie man nun in diese infantil-naiven, und gleichzeitig zum Teil sexistisch geprägten sowie hochexplosiven Action-Superhelden-Baller-Bingo-Adrenalin-Stereoid-Fantasiewelten so etwas wie eine berührend erzählte Romanze oder stimmig inszenierte Inimität bringen kann. Geht das überhaupt? Oder: Will das denn jemand? Warum hat sich kaum je ("Catherine" ist eine einigermassen bekannte Ausnahme) ein Entwicklerteam damit befasst, ein Spiel rund um eine Liebesbeziehung zu entwerfen? Es muss ja nicht gleich ein Liebes-Manager oder Sims sein, sondern eine Inszenierung in der Machart von Heavy Rain. Da geht es nämlich im Kern um die Frage, wieviel man bereit ist zu tun, für jemanden den man liebt. Im extremen Sinn natürlich, denn die Story dreht sich ja um einen Kindermörder. Ich denke nicht, dass ein Film diese Mischung eindrücklicher hätte rüberbringen können als dieses Spiel. Und der Erfolg — der PS3-exklusive Titel hat sich über 2,1 Mio Mal verkauft — gab den Leuten von Quantic Dream recht.

Der heisse Tanz in Sachen Intimität und Videogames fängt jedoch nicht erst bei den Kuschelszenen an — welche im Vergleich zum Vorabend-TV-Programm geradezu überkeusch daherkommen — sondern schon beim Aufblitzen von nackten Tatsachen. Kaum ist je in einem Videogame eine Burst, ein Nippel oder geschweige denn ein Geschlechtsteil zu sehen, ist der Skandal perfekt. Rockstar setzte mit dieser Szene ein Zeichen - ohne Rücksicht auf Verluste (der erste richtige Skandal in der Branche mit Codename "Hot Coffee" kam aus demselben Haus). Man beachte insbesondere die Reaktion von Johnny Klebitz, der Hauptfigur aus Episodes From Liberty City - The Lost And Damned:

Was in Film und Fernsehen längst gang und gäbe ist, nämlich der unpuritanische Umgang mit milden Formen von Nacktheit, liegt in Games noch in weiter Ferne. Dazu tragen leider auch die Zensur- und Altersfreigabestellen bei, welche beim kleinsten gametechnischen «Nippelgate» aufschreien. Blut und Därme sind inzwischen auch für 16-jährige Gamer okay, aber nackte Brüste oder Männerhintern sind verboten? Diese Logik kennen wir ja bereits von ländlichen US-amerikanischen Werthaltungen.

Aber kehren wir zurück zum Thema. Dragon Age und Heavy Rain sind die einzigen Videogames weit und breit, welche die (romantischen) Beziehungen zu anderen Spielfiguren greifbar umgesetzt und zu einem essentiellen Teil des Erlebnisses gemacht haben.

Bei Mass Effect 3 hingegen — da geht es meiner Meinung nach schlichtweg um den «quick fix». Also um den schnellen Spass, um ein bisschen Softcore Pseudo-Erotik als Abwechslung zwischen den Schiessereien und dem Geplaudere. Fragwürdig ist eh, ob es moralisch sinnvoll ist, dass ein dermassen mächtiger Charakter wie Shepard — egal ob als LüstlerShep, FemShep, LadyShep oder GayPard — sich nach Lust und Laune irgendwelche Betthäschen oder Kuschelmöpse aus seinen eigenen Kämpferreihen ins Bett holt. Auswirkungen auf das Geschehen haben die Geplänkel jedenfalls wenig bis keine, und auch die Handlung bleibt weitgehend frei von Einflüssen der One Night Stands. Genauso leer bleiben die meisten Charaktere im Spiel hinsichtlich ihrer Emotionen. Natürlich spürt man ihre Trauer, ihren Hass auf die Reaper, und sonst noch so einiges. Aber Zuneigung, Sympathie und Antipathie kommen nicht so recht auf Touren. Schade eigentlich. BioWare hat mit Dragon Age gezeigt, wie es anders geht.


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