Die Amerikaner vom Team Turn10 in der einen Box, Team Polyphony Digital aus Japan in der anderen. Der Rennstall aus den USA wartet mit der neusten Baureihe ihres Rennboliden auf, mit klingendem Typennamen «Forza Motorsport 4». Im folgenden kurz FM4 genannt. Die Japaner treten mit einem kürzlich aufgepimpten Topmodel «Gran Turismo 5» zum grossen Rennen an — Codename GT5.
Bevor wir zum direkten Vergleich übergehen nehmen wir folgende Feststellungen vorweg:
Der Karrieremodus von FM4 ist fantastisch umgesetzt und bietet viel Motivation. Man darf öfters mit seinen Lieblingsfahrzeugen fahren als in GT5, wo manche Rennevents nach genau bestimmten Modellen verlangen. Zudem bietet FM4 innovative Spezialevents wie Kegelumfahren und Co.
FM4 wartet mit zahlreichen Asphalt-Strecken auf. Die Locations sind quer durchs Band gut umgesetzt, mit den obligaten Licht- und Schattenseiten. Auf Wettereffekte und Nachtrennen müssen die 360-User leider verzichten, im Gegensatz zu den PS3-Gamern.
Das XP-System von FM4 überzeugt und hält den Spieler zusätzlich zu den Credits an der Stange. Dazu können fahrzeugspezifische XPs gesammelt werden, was Sinn macht.
Die Grafik von FM4 unterscheidet sich nicht wesentlich von FM3. Das ist an sich nichts schlechtes, da schon der Vorgänger toll daherkam. Allerdings hat sich hier der eine oder andere vielleicht noch etwas mehr Politur erhofft.
Fahrzeuge dürfen selbst gestaltet und in Sachen Karrosserie mit eigenen Sujets vollgepappt werden. Wer mag. Diese Fahrzeuge darf man auch mit Freunden teilen.
Schreiten wir nun hinüber zum Kontrollzentrum für die eingehende Analyse. Die beiden Boliden stehen für den Showdown bereit:
Motorensound
Das Gebrüll war seit eh und je ein Schwachpunkt von GT5. FM4 klingt einfach genial, die Effekte bei Tunneldurchfahrten und in engen Canyons sind kristallklar. Bei Kleinwagen hat es Turn10 ein klein wenig übertrieben, klingen diese doch wesentlich aufgemotzter als in Wirklichkeit. Bei manchen Fahrzeugen kommt man auch bei Forza nicht um den Gedanken an einen Rasenmäher herum. Was die grossen Kaliber angeht, gibt es hier jedoch keine Diskussion.
FM4 gewinnt die Aufwärmrunde nach allen Regeln der Kunst.
Künstliche Intelligenz der Gegner
Die Kontrahenten in FM4 verhalten sich etwas cleverer als GT5. Sie drängeln, weichen auch mal von der Ideallinie ab, machen ab und zu Fehler wie Verbremser oder Ausflüge ins Kiesbett, und fühlen sich irgendwie echt an.
Diese Runde geht mit einer Wagenlänge Vorsprung an FM4.
Fahrphysik
Kleinwagen wirken in FM4 viel zu schwer. Als direkten Vergleich kann ich hier den Citröen C2 heranziehen. Ich kenne das Auto aus eigener Erfahrung, da ich jemanden aus meinem Bekanntenkreis ein solches Modell besitzt. Ich bin damit öfters rumgetuckert. Das Feeling mit demselben Fahrzeug in FM4 wirkt wie wenn ein Rennfahrwerk samt Spitzenbremsen verbaut worden wären. Wohlgemerkt: Ohne dass ich in FM4 etwas verändert hätte. Der Mirkowagen wirkt viel schwerer als er ist, und er reagiert merkwürdigerweise bei hohen Tempi zu «Sportwagen-mässig». Puristen werden also sagen: Turn10 hat ein bisschen geschummelt, um die ersten fahrbaren Auto im Game etwas weniger langweilig erscheinen zu lassen.
In dieser Hinsicht das Ganze auf ein Geschmackssache-Urteil hinaus: Gran Turismo verzeiht weniger, ist noch tiefer die Fahrsimulation - Forza 4 ist etwas mehr auf Action getrimmt. Gran Turismo 5 glänzt allerdings genau darin, die feinsten Eigenheiten eines Normalowagens oder Rennboliden genau auszukundschaften und immer näher an die seidenfeine Grenze zwischen perfekter Fahrt und Totalcrash zu gelangen. Man könnte sagen: GT5 ist Perfektionismus, FM4 ist Hollywood-Realismus.
Gemessen am Anspruch einer Fahrsimulation geht diese Runde hauchdünn an GT5.
Schadensmodell
FM4 hat ein Schadensmodell, das nicht ganz konsequent umgesetzt ist, aber eindeutig besser daherkommt als dasjenige von GT5. Überschläge der Gegner bei FM4 kommen cool rein, obwohl dies auf echten Rennstrecken eher die absolute Ausnahme darstellen dürfte. Die besten Schadensmodelle finden sich aber nach wie vor in Rallyegames wie DiRT 3 oder Arcade-Racern wie Motorstorm Pacific Rift oder Apocalypse.
FM4 gewinnt diese Rennrunde mit klarem Vorsprung.
Speedfeeling
Hier herrscht mehr oder weniger Gleichstand wenn man mit Superboliden rumdonnert, leichte Vorteile gibt es für Forza 4 wegen satterem Sound als Gesamterlebnis. Wenn man die Bugperspektive wählt, erlebt man als geneigter Digital-Petrolhead jeweils fantastische Geschwindigkeits-Höhenflüge.
Keines der beiden Pixel-Rennteams kann sich hier entscheidend durchsetzen, die Runde wird nicht gewertet.
Rennoptik
Weder GT5 noch FM4 können in jeder Hinsicht auf jeder Strecke überzeugen. Die beiden Games schauen brillant aus in 1080p und bieten jeweils einige Highlights was die Kurse angeht. GT5 mit der wunderschönen Toskana-Tour, den Stadtkursen in Matrid und London, oder dem Berner Oberland (darum haben die Jungs von Turn10 diese Strecke wohl auch halbwegs kopiert, zumindest das Setting).
Andererseits vermag FM4 mit eigenen tollen Strecken wie der Amalfi-Küste oder dem schön umgesetzten Hockenheim-Ring zu punkten.
Diese Runde endet Nase an Nase mit zwischenzeitlichen Vorteilen im Rennverlauf auf beiden Seiten.
Wagenpark
FM4 wartet mit hunderten von detailgetreuen Fahrzeugen auf, GT5 ebenso. Der Betrachtungsmodus ist bei FM4 jedoch etwas weniger umständlich platziert und umgesetzt. Die einfacher zu begehende Box hat also FM4, die Showrunde geht an das Team auf der 360.
Racing Events
FM4 ist ein Strassenrenner mit einigen wenigen Ausnahmen. Diesen Bereich deckt GT5 ebenfalls ab. Der PS3-Vorzeigeracer bietet weniger Rennvariationen als FM4 (Keulen umfahren und Co. gibts nicht), aber eine etwas grössere Vielfalt an Vehikeln.
Gran Turismo 5 gewinnt knapp mit etwas mehr rennerischer Vielfalt. Die Rallyes und Kartrennen machen was aus.
Menüführung
FM4 führt den Gamer seidenfein und ohne gröbere Umwege durch die Einstellungen und Rennevents. GT5 ist dagegen ein Bedienungs-Alptraum. Die Menüs wirken elegant, aber antiquiert, und kommen so einem Oltimer-Jaguar gleich. Schön anzuschauen, aber für schnelle Zugriffe und flüssige Bedienung wähle man ein Modell aus der heutigen Zeit.
FM4 braucht sich in dieser Hinsicht nicht einmal besonders anzustrengen und gewinnt diese Runde mit grossem Abstand.
Wettereffekte
FM4: Fehlanzeige. Leider darf auf der 360 nur untertags und bei schönem Wetter gefahren werden, andernfalls bleiben die Wagen in der Garage.
GT5 ist da wesentlich vielseitiger, hat aber ein paar Pannen zu beheben aufgrund der pixlig-verbröselten Wassersprühgrafik. Die Regentropfen auf der Scheibe und der Einfluss des Speed-Zugwindes auf die Perlen sind dafür fantastisch umgesetzt. Die Schneeflocken und die Nachtrennen sind eine Augenweide.
FM4 erklärt für diese Runde forfait und GT5 macht sich auf eine Ehrenrunde.
Multiplayer
Das Matchmaking in FM4 gestaltet sich etwas einfacher als in GT5. Splitscreen bieten beide, und das auch in hoher Qualität.
Trotzdem fährt hier FM4 dank besserer Online-Architektur dem GT5-Team davon.
Was die Rennstrecken abseits des Asphalts angeht, hat FM4 wenig am Start.
Letzte Zwischenzeit: GT5 hat in diesem Abschnitt klar die Nase vorn. Diese Rennrunde geht an die Japaner.
Fazit - Die Schlusswertung
Die Grundlage ist klar: Sowohl Besitzer einer PlayStation 3 wie auch einer Xbox 360 haben eine exzellente Fahrsimulation für ihr jeweiliges System zur Verfügung.
In mancherlei Hinsicht zeigt sich GT5 etwas eleganter, in manchen Aspekte vermag FM4 dem Rennen ganz klar den Stempel aufzudrücken. Wer fast oder nur ausschliesslich Renngames spielt, darf sich ruhig beide Konsolen anschaffen für das jeweilige exklusive Pilotenvergnügen.
Forza 4 hat im direkten Vergleich knapp die Nase vorn, Turn10 hatte aber auch ein Jahr länger Zeit für Optimierungen und Marktanalysen. Aber urteilt selbst:
Wir bedanken uns bei Microsoft für die freundliche Bereitstellung einer Vollversion zu Testzwecken.
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Diverse
Positiv
Tolle Optik und Speedfeeling, geniale Motorensounds, natürlich anmutendes Gegnerverhalten, grosses Angebot an Rennspass, riesiger Fuhrpark, kaum Wünsche offen für Liebhaber von gepflegtem Digital-Racing
Negativ
Kleinwagen unrealistisch, eher auf Hollywood-Realismus getrimmt denn auf echtes Pilotieren